lxplm.

Waiting for the great leap forwards.

24. Januar 2024
von Alexander Plaum
7 Kommentare

Sieben aufmüpfige Takes zu den „Demos gegen rechts“ – und ein kurzer Appell

Ich habe mal ein bisschen was aufgeschrieben zum neuen antifaschistischen Engagement der bürgerlichen Mitte. Meine Takes sind vermutlich nur begrenzt anschlussfähig, aber ich hatte keine Lust auf unkritisches Lob, einfache Wahrheiten und intellektuelle Faulheit. Los geht’s:

1. Die Demos waren gut und richtig (und selbstverständlich war ich auch am Start) – sie waren aber auch ein bisschen selbstgefällig. Und handzahm. Und sie reichen bei weitem nicht aus.

2. Gegen völkischen Faschismus zu sein ist das Default Setting, ein zivilisatorischer Mindeststandard. In einer besseren Welt gäbe es dafür keinen besonderen Applaus. Und was ich in den sozialen Netzwerken so gesehen habe, das grenzte in vielen Fällen schon an Boomer Cringe Virtue Signaling. („Wir sind alle bunt und funky!“)

3. Die Demos haben scheinbar wenige bis gar keine Auswirkungen auf die Stärke des rechten Lagers. Die rechtsradikale, verabscheuungswürdige AfD haut unfassbare Spins raus – und liegt in Umfragen recht stabil bei über 20%, also auf Rang 2 (!). Die regelmäßig rechtspopulistisch agitierende CDU ist mit über 30% weiterhin stärkste Kraft. Trotz zahlreicher, meist strategischer Dementi gehen beide Parteien immer wieder auf Tuchfühlung, gerade auf Ebene der ostdeutschen Landesverbände. Die Brandmauer hat große Risse. Hubsi Aiwanger, knapp dem Nazi-Label entkommener Regierungspartner der Union in Bayern, suggeriert gerade, dass es sich bei den freundlichen Kundgebungen von demokratischen Mamis, Papis, Omis und Opis quasi um Bombenleger-Events handelt.

4. Friedrich „Die Asylanten nehmen mir meine Zahnarzttermine weg“  Merz versucht derweil, die Demos für sich zu vereinnahmen – und tut so, als wäre er schon immer und mit vollem Herzen „gegen Rassismus, Hetze und Geschichtsvergessenheit“ gewesen. Das ist einerseits krass unverschämt, andererseits ziemlich klug von ihm, denn weniger schlaue Mitte-Bürger nehmen dem Fritze seine Position glatt ab. Und denken einfach nicht mehr an die verbalen Ausfälle der Vergangenheit. Oder an den Fakt, dass am Deportationstreffen in Potsdam auch CDU-Mitglieder teilgenommen haben.

5. Es gibt zahlreiche Menschen, die die Ampel gegen Angriffe von rechts verteidigen – was erst mal sinnvoll ist. Leider gibt sich ein beachtlicher Teil von ihnen dabei der Illusion hin, dass die Ampel wegen eben dieser Attacken irgendwie links oder zumindest linksliberal ist. Ist sie aber leider nicht. Es zeigen sich – im Gegenteil – immer wieder rassistische und menschenfeindliche Tendenzen. Nehmen wir den Themenkomplex Migration/Integration/innere Sicherheit. Hier gibt’s in Deutschland vergleichsweise wenig Probleme. Dennoch hauen SPD, Grüne und FDP gerne publikumswirksam auf den Tisch. Gerade eben erst wurde das von Menschenrechtsorganisationen massiv kritisierte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ (allein dieser Name…) kurz und schmerzlos durchgewunken. Olaf Scholz will „härter abschieben“. Ricarda Lang auch. Christian Lindner klang vor der Bauerndemo wie ein AfD-Politiker („Wir kürzen bei den Asylanten!“) – und warnt im Zweifel lieber vor „Linksextremen“ und „Klimaklebern“. Gleichzeitig wollen die Koalitionäre möglichst wenig Geld für den sozialen Frieden ausgeben. Treibende Kraft ist hier oft die FDP, mit der SPD und Grüne freilich nicht brechen wollen.

6. Große Teile der bürgerlichen Presse sind zwar gegen Nazis und faschistisches Denken, haben aber mit Rechtspopulismus light kein Problem. Regelmäßig berichten Journalist*innen, wie überlastet irgendwelche Kommunen sind. Dass es sich hier um grundsätzliche Probleme handelt, und es bei zig fehlenden Wohnungen oder Kitaplätzen ziemlich egal ist, ob jetzt noch ein paar „Ausländer“ mehr oder weniger kommen, wird selten erklärt. Einige Medien der „Mitte“ empfehlen gar Law-and-Order-Maßnahmen, obwohl die nachweislich kaum etwas bringen, dafür den Diskurs jedoch weiter nach rechts schieben und fortschrittliche Wähler*innen verprellen.

7. Es gibt keine bürgerliche Mehrheit, die den Kampf gegen den Faschismus auch ökonomisch führen will. Es gibt kein großes Bündnis, das sagt: Es muss endlich, endlich viel Geld in die Transformation der Infrastruktur sowie in die Bereiche Soziales und Bildung fließen. Genau das wäre nämlich eine lukrative und v.a. republikerhaltende Investition. Wer das Land zukunftssicher und lebenswert macht, der fördert automatisch die Wirtschaft – und verhindert zugleich, dass im Job und im Alltag frustrierte Normalos zunehmend Geschmack an rechten Scheißideen finden. Um die beschriebenen Investitionen zu tätigen, müsste natürlich die Schuldenbremse weg – ein hirnrissiges, gefährliches und auch von zahlreichen Mainstream-Ökonom*innen inzwischen abgelehntes Instrument rechter Wirtschaftspolitik. 

Ich mache jetzt mal einen Punkt. Und verbleibe mit einem kurzen, aber deutlich erweiterten antifaschistischen Appell: Gegen Nazis. Gegen ihre Verharmloser. Gegen ihre Wegbereiter. Gegen die Selbstbeweihräucherung der neoliberalen Mitte. Für mehr Reflexion. Für klüger. Für schöner. Für anders. Für eine demokratische, soziale, fortschrittliche Republik.

31. Dezember 2023
von Alexander Plaum
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Hellmode, Healmode, Hermeneutik (Leicht chaotischer Versuch eines persönlich-politischen Jahresrückblicks)

It’s weird that we’ve become numb to it
We’ve grown accustomed to the fear
Do you still dream about tomorrows
After the ones that brought us here?
Or are you just burnt out, thinkin‘
„Damn, I gotta deal with this shit 
Another fuckin‘ year“?

Meine Antwort auf die Frage, die (der ziemlich großartige) Jeff Rosenstock in einem der besten Songs seines neuen Albums stellt, lautet wie folgt: Es kommt drauf an; es hängt letztlich von der Tagesform ab.

Wenn ich – wie in diesen Tagen – kein Chaos bewältigen muss, auspennen darf, ein wenig zur Ruhe komme und viel Kontakt mit lieben Menschen habe; wenn ich mit einer langjährigen Freundin eine kleine, feine Geburtstagsparty feiere, auf der coole Musik läuft, Menschen tanzen und gute Gespräche führen und außerdem Spendenkohle für eine wichtige NGO zusammenkommt; wenn ich einen lockeren Heiligabend ohne Geschenke-Overkill mit der erweiterten Familie verbringe; wenn ich stundenlang in einer halbwegs intakten Stadt und einem halbwegs intakten Wald spazieren gehen und anschließend stundenlang schlaue Bücher und Blogartikel auf einem gemütlichen Sofa lesen kann, wenn meine entspannte Partnerin und meine fröhliche, ausgeglichene Tochter sich daneben kuscheln, dann bin ich doch recht positiv gestimmt. Dann glaube ich an morgen und übermorgen und eine gar nicht so bekackte Zukunft.

Wenn ich dagegen – im Alltag – gestresst und mit ewig langer To-Do-Liste und leichten Cashflow-Problemen in einem fett verspäteten Zug sitze, am Zielbahnhof jede Menge soziales bzw. wirtschaftliches Elend beobachte, daneben Werbeposter für sinnlose Kreuzfahrten und Gin-Tonic-per-Mobile-App-Lieferdienste erspähe und nur ein Stück weiter ein Thermometer, das an einem Herbstabend ca. 18 Grad anzeigt; wenn ich schließlich nach Mitternacht das Licht neben dem Hotelbett ausknipse, maximal fünf Stunden schlafe, beim Frühstücksbuffet auf sieben Sorten Wurst und eine Sorte Käse (und zero veganen Aufstrich) stoße und gleichzeitig via News-Feed erfahre, dass die ebenso fürchterliche wie einflussreiche Person X die unerträgliche Position Y erfolgreich in die Welt gepustet hat und vermutlich die kommende Wahl gewinnt (Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, grundsätzliche Menschenfeindlichkeit, Wissenschaftsleugnung und ökonomischer Irrsinn, why not?), dann gehöre ich doch eindeutig zum Team „Verdammte Axt, und so geht das nächstes Jahr einfach weiter.“

Was ist nun die persönliche Erkenntnis? Im Zweifelsfall: Nicht zu viel jammern. Weitermachen. Immer nach oben treten, möglichst nicht zur Seite – und schon gar nicht nach unten. Nett sein zu Menschen, denen es schlechter geht. Positiv gestalten, sofern das möglich ist. Und dabei jederzeit alle Widersprüche klar vor Augen haben. Da kann ich gleich noch mal Jeff R. zitieren (gleiches Album, Rausschmeißer-Track):

Don’t you pretend
The world is treating us all equal
When a person can starve
As another one hops in a
Lyft plus to JFK
To Europe, expenses paid
I know it’s not okay
But I still participate

Wie und wo und in welchem Umfang ich noch teilnehmen möchte, darüber muss ich allerdings immer häufiger und gründlich nachdenken. Die Krisen der letzten Jahre (Corona, Krieg, Klima) in Kombination mit Populismus- und Desinformationswellen sowie medialer Umwälzung haben nicht nur viele schöne Dinge einfach zerstört, sondern auch die wahre Natur – oder besser: Sozialisation und Weltanschauung – vieler Menschen auf unerfreuliche Weise transparent gemacht. Ich denke hier v.a. an Menschen, denen ich noch vor wenigen Jahren eine stabile Haltung zugetraut hätte, die ich mir als Verbündete im Kampf für eine bessere, schönere Zukunft vorstellen konnte. Leider waren sie dann doch völlig panne. Ich paraphrasiere und konkretisiere mal einige der Positionen:

Gegen Big Pharma und für ein menschenfreundliches Gesundheitssystem – aber vor allem gegen Impfungen! Gegen Imperialismus und Krieg – aber vor allem gegen Israel (und/oder für einen Dialog mit den missverstandenen Russen)! Gegen Islamismus und falsche Toleranz – aber am besten gegen alle Muslime und alle Migranten! Gegen (neoliberalen) Kapitalismus – aber im Stammtischmodus, ökonomisches Grundwissen und eine realistische Einschätzung der Verhältnisse sind überbewertet! Für kuscheligen Klimaschutz – gerne auch zusammen mit Antisemiten und Nazis! Für grüne und sozialdemokratische Politik – die Grundprinzipien müssen natürlich keine Rolle spielen! Für Technik und Digitalisierung – auch wenn wir vor politisch-sozialen Problemen stehen!

Ich habe das Gefühl, mich immer häufiger distanzieren zu müssen. Wobei es sie natürlich noch gibt, die smarten Menschen und coolen Initiativen. Aber ob die irgendwann mal richtig anschluss- und mehrheitsfähig sind? In einer Republik, die weiter nach rechts driftet? Und sich in schöner Regelmäßigkeit von erzreaktionären Populisten und Marktradikalen begeistern lässt? Selbst ein eloquenter, engagierter und um Ausgleich bemühter Politiker der Mitte wie Robert Habeck (bin gar kein Grünen-Fan, sondern beschreibe nur), ein für hiesige Verhältnisse veritables Politiktalent mit demokratischen Überzeugungen und ordentlich Reichweite kann am Ende des Tages eher wenig reißen, steht in der Gunst der Wähler*innen äußerst bescheiden dar. Genauer gesagt: Deutlich hinter den Totalausfällen Söder und Merz, deren Parteien dann auch aktuell wieder die stärksten sind (warum eigentlich?). Im Verfolgermodus: Die Faschisten, voller Vorfreude auf Mini-Machtergreifungen bei den kommenden Landtagswahlen.

Zurück zu den guten Leuten da draußen: Was trotz heftiger Verwerfungen und verrückter Mainstreamdiskurse auch noch existiert: hörenswerte (und gar nicht mal so unerfolgreiche) Podcasts. neuezwanziger.de von Wolfgang M. Schmitt und Stefan Schulz – hurra, endlich mehr Links am Stück – ist ein interessantes Mammutprojekt, in das ich dieses Jahr erstmals tiefer eingestiegen bin.

Alle vier bis fünf Wochen versuchen die beiden Hosts, politische, kulturelle, soziale und ökonomische Ereignisse des gerade vergangenen Monats zu beleuchten, analysieren und historisieren – mit Hilfe sehr vieler Nachrichten- und Interview-Schnipsel. Und laufen soll das Ganze eben bis zum Ende dieser Dekade. Was mir v.a. gefällt: Schmitt und Schulz kommen ganz bürgerlich-harmlos daher, unterhalten sich auch gerne schon mal über Opernbesuche und dergleichen, liefern bei den Kernthemen der Sendung aber (fast immer) fortschrittliche, ideologiekritische und systemtheoretische Statements, die man in „normalen“ Radiosendungen (zumindest in dieser Dichte) selten findet. Klar, es erfordert eine gewisse Überwindung, sich 90+ Minuten Diskurs alleine zum Thema „Kindergrundsicherung“ oder „Schuldenbremse“ oder „Hamas“ zu geben (die kompletten Folgen haben eine noch viel längere Laufzeit), dabei gibt’s dann aber tatsächlich was zu lernen. V.a. in Sachen stringente, humanistisch-sozialistisch-demokratische Argumentation gegen politischen Irrsinn.

Mit dem Stichwort „Hamas“ sind wir nun schon zum zweiten Mal beim neuen Krieg in Nahost angekommen, und jetzt traue ich mich sogar, etwas mehr dazu zu schreiben. Denn: gar nix sagen fühlt sich auch falsch an. Und – das mag für einige jetzt verrückt klingen – so kompliziert ist das Thema nun auch nicht, es stehen ja genug Hintergrundartikel und Bücher zur Verfügung (eins davon hatte ich im letzten Jahresabschlusspost sogar empfohlen). Nur unreflektiert loslabern sollte man halt nicht. Ein wirklich kluges und menschliches Statement, dem ich in allen wichtigen Punkten zustimmen würde, stammt interessanterweise von der IL – einer kleinen, eher unwichtigen und de facto linksradikalen Initiative in Berlin. Ihr könnt es hier nachlesen. Quintessenz (für mich): Die Terrororganisation Hamas hat barbarische Taten verübt, die durch nichts zu entschuldigen sind. Wir trauern um die Opfer. Die (militärische) Reaktion auf diese Taten darf nicht zu selektivem Humanismus und Hardcore-Militarismus führen – wir trauern um die Opfer (die von der Hamas freilich gerne in Kauf genommen werden). Vorsicht bei der Einschränkung von Grundrechten (in Deutschland). Gegen Instrumentalisierung von Israel-Solidarität für rechte, rassistische Politik. Für ein besseres Leben aller Menschen in Israel, in Gaza, in der Westbank. Für Frieden, Gleichheit und Selbstbestimmung. Klingt eigentlich nach gesundem Menschenverstand. Haben ganz viele Leute so aber leider nicht hinbekommen. 

Eine weiterer Text, der mich angesprochen hat, stammt aus der Hareetz, konkreter: aus dem „Israel at War“-Newsletter der Zeitung. Hier heißt es im „Context“-Abschnitt (am 80. Tag des Krieges aktualisiert):

„Israel declared war after Hamas killed at least 1,200 Israelis and wounded more than 3,300 in a merciless assault. In Gaza, the Hamas-controlled health ministry reports that at least 20,674 Palestinians have been killed. Hamas and Palestinian Islamic Jihad hold hostage more than 129 soldiers and civilians, dead and alive, including foreign nationals. The war comes after ten months of the most significant domestic political and social crisis in decades, due to the Netanyahu-led government’s judicial coup – legislation aimed at dramatically weakening Israel’s judiciary and potentially rescuing Netanyahu from the three corruption trials he faces – and amid an escalation of violence between West Bank Palestinians and Israeli settlers, the latter empowered by Israel’s most right-wing government ever.“

Das ist doch bemerkenswert klar. Und bewundernswert vor dem Hintergrund, dass es sich hier um eine israelische Redaktion (in Tel Aviv) handelt. 

Und jetzt? Könnte ich noch länger darüber schreiben, dass viele Medien seit dem 7. Oktober kaum noch Platz für eine vernünftige Berichterstattung über den Ukrainekrieg finden (der stetig blutiger, hoffnungsloser und teurer zu werden scheint) und schon gar keinen Wert darauf legen, andere unfassbare Weltereignisse genauer zu beleuchten, zum Beispiel die Massendeportation von Afghanen aus Pakistan (wo ist hier eigentlich die Soli-Bewegung auf den Straßen der westlichen Welt?). Habe ich aber keinen Nerv zu.

Stattdessen möchte ich euch – Themawechsel – vier (halbwegs aktuelle und sehr unterschiedliche) Bücher empfehlen, die ich dieses Jahr gefeiert habe. Auf den Inhalt gehe ich an dieser Stelle nicht näher ein. Lest die digitalen Waschzettel, und falls euer Interesse geweckt ist (obwohl es sich z.T. um schwere Kost handelt): bestellt die Titel beim Verlag oder in der Buchhandlung um die Ecke.

Lesen. So toll. So immersiv. So erhellend. 

Ein ganz erstaunliches Bücherpensum hat übrigens meine Tochter 2023 absolviert, was mich ausgesprochen glücklich macht. Fast 100 (!) Titel wurden da mit Freude verschlungen (Vier-Bücher-pro-Woche-Peaks in den Ferien) – natürlich ausschließlich aus dem Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Favorisierte Lektüre: Abenteuergeschichten mit mutigen, weiblichen Hauptfiguren und viel Natur („Ein Mädchen namens Willow“, „Das Grüne Königreich“, „Ronja Räubertochter“, ihr wisst Bescheid). Ein großer Dank geht raus an die Stadtbibliothek, die Buchverschenker*innen im Freundes- und Familienkreis, die Flohmarktfamilien in der Nachbarschaft sowie diesen richtig coolen Kinderbuchladen. Wo wir beim Thema Kinder- und Jugendliteratur sind: Den von mir mit auf den Weg gebrachten KJL-Bot kennt ihr schon, oder? Ein kleines, feines Ding. Mit ein bisschen Glück kommt bald auch eine mobile App.

Was ich sonst so in Sachen Medien bzw. Technologie bzw. Lohnarbeit getrieben habe, könnt ihr ggf. in meinem LinkedIn-Jahresrückblick nachlesen.  Entgegen meiner guten Vorsätze war das Jahr übrigens wieder voll und stressig, was aber nur in zweiter Linie an zahlreichen Projekten und Dienstreisen lag (Highlights: Rom, Lissabon, Rotterdam; check your privileges, lieber Alex). In erster Linie hat mich/uns (mal wieder) ein privater Zwischenfall über Wochen und Monate aus der Bahn geworfen. Ich schreib mal kurz auf, was da passiert ist:

Im Zuge der Sanierung unserer Altbauhütte mussten Anfang 2023 ein neues Küchenrohr, eine neue Spüle und ein neues Untertischgerät (für heißes Wasser) her. Da ich in diesem Bereich kein Experte bin, habe ich selbstverständlich auf einen Installateurfachbetrieb vertraut. Aber der hat leider krassen Bockmist produziert. Genauer gesagt hat der „Fachhandwerker“ eine Hochdruckarmatur mit einem Niederdruckboiler kombiniert – was dann recht schnell zu einer Explosion des Boilers geführt hat. Bedauerlicherweise just an einem langen Wochenende, an dem ich nach Berlin und der Rest der Familie nach Köln ausgeflogen waren. Ums kurz zu machen: Frau und Tochter kehrten schließlich (vor mir) nach Bonn zurück, öffneten die Haustür – und standen vor einem überfluteten Flur, einem überfluteten Keller, einem komplett ruinierten und temporär einsturzgefährdeten Zimmer, einem Einsatz der Feuerwehr, der es sogar in die Zeitung geschafft hat (kein Link jetzt). Die Bude hatte anschließend mehrere Tage keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser, und wir mussten uns (für knapp zwei Wochen) zu Freunden bzw. in ein Hostel bzw. in eine Ferienwohnung verkrümeln, bis die Bude wieder halbwegs betretbar war. Es folgten eine traurige Entrümpelungsaktion (v.a. bei meiner Frau waren viele persönliche Gegenstände komplett im Eimer) sowie eine Art Kernsanierung der Bude, die von einer anderen „Fachfirma“ eher schlecht, aber immerhin mit solidem Ergebnis gemanagt wurde. Ein halbes Jahr und etwa 60.000 Euro (!) später war der Spuk dann vorbei. Den reinen Sachschaden hat die Versicherung des eingangs erwähnten Installateurs übernommen. Für den ganzen Stress, die verlorene Zeit und die leicht traumatische Erfahrung („Papa, da kam ein Wasserfall aus der Decke!“) gab’s allerdings kein bisschen Kompensation. Nicht mal eine Flasche Rotwein und eine Tafel Schokolade vom zuständigen Installateur. Tja. 

Was Resilienz angeht sind wir nun natürlich ganz weit vorne! Und immerhin gab’s dieses Jahr keinen Angriff auf Leib und Leben eines Familienmitglieds. Yay. 

Wie kriege ich jetzt die Kurve und komme langsam mal zum Ende dieses Jahresrückblicks?

Vielleicht fokussiere ich noch mal auf die schönen Auszeiten, die es auch gab in diesem Jahr. Im Schwarzwald zum Beispiel (trotz nerviger Bim-Bim-Bim-Kapelle neben dem Schlafzimmer). Oder am Ammersee (schwimmen, lesen, schwimmen, lesen). Oder in Vorarlberg (ganz oben auf dem Gipfel, mit weitem Blick). Oder in Ostbelgien (aber wie kaputt ist bitte Verviers?). Oder eben im Köln-Bonner Raum, jetzt, am Jahresende (Filme, Bücher, Weihnachtskekse).

Bei Auszeit denke ich natürlich auch immer an Flucht ins Private (im negativen Sinne) und an ein spannendes Gespräch zu diesen Begrifflichkeiten mit einem geschätzten Kumpel/Kollegen in Berlin vor wenigen Wochen. Unser Fazit: In der Rush Hour eines Normalo-Lebens (40+, Lohnarbeit, Care-Arbeit, Verantwortung für Kinder und Eltern und Partner*in und Kolleg*innen – oder so) ist es wohl total ok, hin und wieder vernünftige Pausen einzulegen, zwecks Schonung persönlicher Ressourcen. Denn: Die eigene Entscheidung für Zivilcourage, Solidarität, weniger zerstörerischen Lebenswandel und mehr Fortschritt auf diesem Planeten ist gut und richtig und wichtig, aber schlussendlich hängt (leider) auch eine ganze Menge davon ab, dass Entscheider*innen hier und da und dort ein Resthirn und einen Restanstand bewahren. Dass die CDU-Führung konstatiert: „Wir sind zwar (so gerade noch) konservative Honks, aber mit der AfD koalieren wir nicht.“ Oder dass FFF-VIPs europaweit rufen: „Kraken-Greta, danke für den Skolstrejk, aber jetzt solltest du einfach deine Klappe halten.“

Zum Schluss noch mal Jeff:

When I can see that there’s just no talking to
People deceived by fascists
I wanna be wrong
I wanna be wrong

P.S.: Kommt gut rüber – und bleibt stabil!

P.P.S.: 2023 war (zumindest für mich) ein sehr gutes Musikjahr. Ich habe viel Musik gehört, viel Musik gemacht, ein bisschen eigene Musik veröffentlicht (yay!), diverse Platten erworben und Konzerte besucht. Dazu haue ich Anfang 2024 noch mal einen eigenen Post raus. Wer mag, kann aber hier und jetzt schon in meine Hot 44 Playlist reinhören.

31. Dezember 2022
von Alexander Plaum
2 Kommentare

Gute Menschen und Gefährder, Klima, Krieg und Käfer. Leicht chaotischer Versuch eines persönlich-politischen Jahresrückblicks.

Uff. Was für ein Jahr. Ende Dezember 2021 hatte ich gedacht, dass die nun folgenden 12 Monate unmöglich noch anstrengender werden könnten, aber natürlich war das: ein Irrtum. In Retrospektive ist es fast ein Wunder, dass ich jetzt relativ entspannt hier sitze, ein Glas Sekt trinke (dem sicher noch ein bis zwei folgen werden) und diesen Post schreiben kann.

Zunächst mal hat mich nämlich der Winter 21/22 total fertig gemacht. Mein Atemapparat war noch nie 100% in Ordnung, mein Immunsystem hat auch schon bessere Zeiten gesehen, und irgendwann war mein Körper den ganzen (vorwiegend durch Kinder eingeschleppten) Viren einfach nicht mehr gewachsen. Über Wochen war die Nase war zu, der Hals kratzte, der Kopf pochte – und im Februar kam dann noch Corona obendrauf. Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt schon 3x geimpft, sonst hätte es wohl ganz finster ausgesehen. So bin ich „nur“ für eine Woche völlig kollabiert (hohes Fieber, grässlicher Husten, quietschende Lunge, schlaflose Nächte) und musste mir anschließend mehr als einen Monat größere Dosen Kortison reinziehen. Long Covid war’s dann aber zum Glück doch nicht: Mehr oder weniger pünktlich zum Beginn des Frühlings war ich wiederhergestellt.

Noch halb im Delirium habe ich den russischen Überfall auf die Ukraine erlebt – natürlich nur via Internet und Nachrichten-App. Dennoch formte sich ein großer Stein im Magen – beim Gedanken an Familienmitglieder von Freund*innen / Bekannten / Kolleg*innen, die abhauen mussten (oder festsaßen!), beim Gedanken an die Opfer in diesem sinnlosen, wahnsinnigen Krieg. Die auch von mir eindeutig als solche empfundene Zeitenwende sorgte dafür, dass ich noch ein Stück pessimistischer und angenervter wurde: Gab’s und gibt’s da jetzt wirklich eine (vom Mainstream durchaus rezipierte) „dissidentische“ Bewegung, die mit dem menschenverachtenden, imperialistischen Diktator Putin verhandeln will, die Hauptschuld beim Westen sucht, die Ukraine zur Mäßigung aufruft und der deutschen Regierung Kriegstreiberei vorwirft? Versteht mich nicht falsch: Auch ich bin kein Fan von Deutschland, EU, NATO, westlicher Hegemonie und so weiter, aber: wie ignorant und verlogen kann man denn sein? Um einen Social-Media-Post zu paraphrasieren, dessen Urheber*in mir leider entfallen ist: „Anti-Militarismus und Anti-Imperialismus ist absolut wertlos, wenn er sich ausschließlich und immer gegen die USA und ihre Verbündeten richtet“. Word. An dieser Stelle auch eine Bemerkung für alle Kritiker*innen, die den medialen Fokus auf den Ukraine-Krieg als „heuchlerisch“ oder „überzogen“ empfinden: Ja, es gibt natürlich auch noch andere Kriege und bewaffnete Konflikte auf der Welt, stets nachzulesen in dieser Liste. Aber es ist auch absolut legitim, sich mal besonders ausführlich zu interessieren, wenn ein riesengroßes, militärisch und wirtschaftlich eher bedeutendes Land in sein auch nicht gerade kleines und auch nicht gerade auf ökonomischer Sparflamme laufendes Nachbarland einfällt. Was dann Auswirkungen auf den ganzen Kontinent bzw. die ganze Welt hat, WWIII-Option inklusive. Ansonsten möchte ich noch anmerken, dass bei „uneingeschränkter Solidarität“ gegenüber der Ukraine natürlich auch Vorsicht geboten ist (rechte Spinner sind da 2022 aber echt nicht staatstragend, checkt das mal) und Putin trotz aller Widerwärtigkeiten noch nicht das Niveau unseres schlimmsten Regierungschefs (1933-45) erreicht hat. An dieser Stelle gehen Grüße raus an einen alten Kumpel in Berlin, der mit viel Augenzwinkern und Punk-Attitüde einen alten Hit in meiner Heavy Rotation verankert hat: „Warum, warum? Was tut er denn da bloß? Was ist nur mit dem Russenhitler los?“

Mittelgute Überleitung vom Kriegsverbrecher Putin auf andere Gefährder: Im April war ich gerade im Begriff, mit lieben Leuten einen Kurzurlaub im Schwarzwald so richtig zu genießen, als mich aus NRW eine Horrornachricht erreichte. In einer der Rhein-Metropolen war eine mir sehr nahe stehende Person Opfer einer schweren und äußerst grässlichen Straftat geworden – und hatte nur knapp überlebt. Dank couragierter Helfer*innen und höchst professioneller Ärzt*innen. Ich möchte nicht ins Detail gehen, kann aber versichern, dass die Angelegenheit noch längere Zeit deutliche Auswirkungen auf die ganze Familie hatte. Schlussendlich überwog immerhin das Gefühl, mit sehr viel Glück noch mal davongekommen zu sein. Der Täter sitzt inzwischen hinter Schloss und Riegel; auch hier möchte ich auf weitere Ausführungen verzichten. Durchatmen.

Im Juni lautet die Devise dann noch mal „Auf zu neuen Ufern!“ – der dritte Umzug innerhalb von sechs Jahren hat uns nach Bonn-Castell geführt, aus einer langfristig zu teuren Mietwohnung in ein durch großes Glück zu vergleichsweise günstigen Konditionen erworbenes Eigenheim (zweiter Versuch). Ich hoffe, dass wir hier endlich mal Wurzeln schlagen können. Das Küken hat in Bonn ja nun diverse Freundin*innen – und wird dort noch viele Jahre zur Schule gehen.

Was ich bei der Renovierung der Hütte übrigens feststellen musste: Handwerk hat tatsächlich immer noch goldenen Boden: Es ist unfassbar, wie schwierig es ist, passende Fachleute zu finden. Und es ist krass, wie teuer deren Dienstleistungen sind. Erfahrene Java-Entwickler*innen arbeiten im Vergleich zu Dumping-Löhnen. Bei den einzelnen Gewerken gibt’s allerdings auch gewaltige Unterschiede, die mir zunächst gar nicht bewusst waren: Eine neue Haustür kann man sich ja gerade noch leisten. Aber ein neues Badezimmer inklusive neuer Rohre und neuer Elektrik? Dio mio! Als mittelprächtig bezahlter  Medien- und IT-Freelancer finde ich es außerdem bemerkenswert, wie privilegiert viele Handwerker*innen Aufträge ablehnen: „keine Zeit“, „keine Kapazitäten“ – oder gar keine Antwort. Ein Auftragsvolumen von ca. 2000 Euro (bei dem ich immer noch innerhalb von 24 Stunden höchst freudig antworten würde) lockt hier wohl nur Wenige hinter dem Ofen hervor. Aber: Natürlich gibt’s auch die coolen, zuverlässigen Leute, die bei größeren Problemen sofort auf der Matte stehen und anschließend sogar noch die Rechnung abrunden.

Was wollte ich noch erzählen? Na klar: Sommerurlaub! Der Abstecher nach Herrsching am Ammersee im Juli war wirklich fein. Sympathisches Örtchen in spektakulärer Lage, ganz viel Natur, trotzdem gute Infrastruktur. Und zwischendurch grüßt Wigald Boning vom Nachbargrundstück – in Unterhose (wahre Geschichte). Leider haben wir dann irgendwann den Fehler gemacht, Bayern gen Norditalien zu verlassen. Wo’s einfach nur unerträglich heiß und anstrengend war. Aber ein reserviertes Häuschen (in der Nähe von Bardolino) ist nun mal ein reserviertes Häuschen, und wir wollten den dringend benötigten Urlaub jetzt auch nicht abbrechen.

Machen wir’s kurz: Aufgrund der Bruthitze konnte man sich zwischen 11:30h und 19:30h eigentlich kaum auf die Straße begeben. Dauerhaft um die 40 Grad im Schatten, Instant-Hitzeschlag bei Aktivitäten in der Sonne. Klimakrise ahoi, 100+ Tage ohne Regen, krasser Wassermangel, Jahrhundertdürre, Jahrtausenddürre (wobei neue Negativrekorde wohl rasch folgen werden). Schlimmer als das Schmoren draußen und das ewige Abhängen im zum Glück erträglichen, alten Gemäuer war die Erkenntnis, dass die Krise abseits von Nachrichtenmeldungen, akademischen Debatten und NGO-Newslettern scheinbar kaum wahrgenommen und bekämpft wurde.

Alle Welt brauste bei jeder Gelegenheit mit Autos und Motorrädern durch die Gegend, in Sirmione scheuchten saturierte Penisträger in Ferraris und Porsches mit Mailänder und Münchener Kennzeichen (kein Witz) den Plebs von der Straße (freie Fahrt für freie Bürger!!!), in den Restaurants und Bars kamen fette Steaks, gebratene Fische und tonnenweise Milchprodukte auf den Tisch, angeblich knappes Wasser landete in Erfrischungssprinklersystemen und erstaunlich großen Pools (Geständnis: ich bin im Hitzedelirium auch mal reingehüpft). Zeitgleich zapfte man den Gardasee an (dessen Wasserspiegel in Folge sichtbar sank), um die Ernten in der Umgebung zu retten. Und in Rom wurde die vergleichsweise harmlose und konstruktive Regierung Draghi zerlegt, um den Weg frei zu machen für die durchgeknallte Faschistin Meloni. Da kam mir glatt ein klassisches Filmzitat in den Sinn:

„Manchmal fragt man sich, ob sich die Rettungsversuche überhaupt lohnen! Lohnt es sich die Menschen zu retten? So wie ich die Sache sehe, ist die Intelligenz bereits ausgerottet, und es leben nur noch die Idioten.“

Ja ja, das ist leicht abgedroschen und möglicherweise ableistisch, passt aber schon ganz gut.

Natürlich will ich mich hier gar nicht an Italien festbeißen. Deutschland ist ja auch total groß in irrationaler, höchstgefährlicher Trash-Politik, die (weiterhin!) ein gutes Stück dazu beitragen wird, den Planeten ins Hardcore-Klimadesaster zu führen. Obwohl die Grünen maßgeblich an der Regierung beteiligt sind, passiert in Sachen Klimaschutz de facto: wenig bis nix. Was ja Umweltaktivist*innen auch immer wieder lautstark und 100% faktenbasiert kritisieren. Nicht mal niedrig hängende Früchte werden gepflückt: Wo bleibt das Tempolimit? Wo bleibt die Kerosinsteuer? Wo bleibt die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs? Warum ist das Fahren überdimensionierter Dreckschleudern immer noch so günstig bzw. überhaupt legal? Wieso gibt’s in öffentlichen Kantinen nicht vier Tage die Woche Veggie-Essen? Dieser Rant ließe sich ohne Probleme seitenweise fortsetzen…

Ich vertrete übrigens nicht mal radikale Positionen, habe zudem nicht die geringste Absicht, über Nacht eine primitivistische Baumhausdiktatur einzuführen. Ich will nur, dass sich eine Mehrheit der Entscheider*innen endlich mal dazu durchringt, ungeachtet der Beschwerden egoistischer Arschgeigen und Vollhonks ein nachhaltiges Management unserer Lebensgrundlagen durchzusetzen. Einfach qua Amt. 

Vor Scham im Boden versinken oder alternativ aus dem Fenster springen möchte ich übrigens, wenn ich daran denke, dass ich bei der NRW-Landtagswahl 2022 ernsthaft die Grünen gewählt habe, die sich dann in Rekordzeit der CDU an den Hals geworfen haben und nun in Koop mit der RWE weiter Landschaften verwüsten und Kohle fördern. Und dieses ganze Appeasement gegenüber der FDP auf Bundesebene! Es ist so unerträglich. Sozial ungerechte und ökologisch wie ökonomisch verrückte Maßnahmen wie der Tankrabatt sind da nur die Spitze des Eisbergs. Argh… 

Ziemlich schlechte Laune bereitet mir leider auch die schräge Protestkultur vieler „linker“ Umweltaktivist*innen im Land: „Extinction Rebellion“ und „Last Generation“ sind für mich wenig mehr als peinliche Weltuntergangssektenhippies, die auf erschreckend magere Manifeste zurückgreifen, mit märtyrermäßiger Opferbereitschaft sehenden Auges ins Verderben rennen, regelmäßig die falschen Ziele angreifen, durch seltsame Kommunikation einfache Leute gegen sich aufbringen – und irgendwie nicht mal ein Interesse daran haben, Lindner und Wissing mit einer Tomate zu bewerfen. Ich checke diese Bewegung nicht. Noch weniger checke ich nur, warum sie von „Kritiker*innen“ aus dem „liberalen“ und „konservativen“ Spektrum direkt oder indirekt als Terroristen bezeichnet werden, obwohl sie ja bloß nationale und internationale Vereinbarungen umgesetzt sehen wollen und dabei maximal zu Aktionsformen des zivilen Ungehorsams greifen. Und immer die andere Wange hinhalten (*schüttel*).

Bevor der Umweltrant endet, muss ich aber auch noch was Positives, Konstruktives sagen: Ich war hier und da mit Fridays/Parents/Scientists for Future spazieren. Und das war gut; die allermeisten Leute dort kamen mir sympathisch, schlau und reflektiert vor. Einige erzählten mir auch (gänzlich unaufgeregt) von den Projekten, die sie aktuell verfolgen: Bäume pflanzen und retten, über verfehlte Raumplanung aufklären, mit zahlreichen Eingaben den Neubau unnützer Straßen verzögern/verhindern. In diesem Kontext besonders erwähnenswert ist die Initiative Lützerath lebt!. Von dem, was ich bislang mitbekommen habe, sind hier alle klar im Kopf, gut organisiert und durch bürgerliche Appeasement-Strategien nicht zu beeindrucken. Ich wünsche den Aktivist*innen weiterhin alles Gute bei der Auseinandersetzung mit RWE, Polizei und schwarz-grüner (würg) Landesregierung. Wenn’s familiäre und berufliche Verpflichtungen zulassen – ich bin leider nicht mehr 25 – komme ich im Januar mal zu Besuch und bringe was für die Kaffeekasse mit. Als grundsolide empfinde ich auch die Arbeit von German Zero, die gerade eben noch eine Spende bekommen haben. Anlass war übrigens mein 45. Geburtstag (den ich endlich noch mal richtig feiern konnte, zusammen mit einer Freundin, yay). Am Ende jenes Dezemberabends war das Sparschwein gut voll – und nun helfen die Penunzen hoffentlich ein bisschen beim Klimaschutz.

Welches Thema gehört hier noch hin? Ach ja: Mein Job. Bzw.: meine Jobs, Plural. 2022 war ganz schön voll mit Projekten, Aufgaben und Last-Minute-Einsätzen, aber sie haben mir durch die Bank Spaß gemacht. Das lag nicht zuletzt daran, dass in den kleinen und mittelgroßen Teams, für die ich aktiv war (DW, O’Reilly, Uni Frankfurt) quasi alle Kolleg*innen fortschrittlich, menschenfreundlich und frei von seltsamen Attitüden unterwegs waren. Sie hatten – genau wie ich – Bock darauf, die (digitale) Medienlandschaft und Gesellschaft mit guter Arbeit nach vorne zu bringen, fast immer jenseits von schnöden Profitinteressen. Das empfinde ich als Glück und Privileg.

Insgesamt sollte ich mich häufiger daran erinnern, dass längst nicht alles schlecht ist in der Republik der schwurbelnden, steakfressenden, SUV-fahrenden „Mitte“ (die aber leider zu häufig den Diskurs bestimmt). Und dass ich einfach noch immer verdammt gut klarkomme.

Notfalls kann man sich ja mit einem schlauen Buch und einer großen Kanne Grüntee zurückziehen. Das ist mir zwischen Januar und Dezember wieder recht häufig gelungen. Fast 20 Bücher wanderten vom Lesestapel ins Regal; für ein Stressjahr eine durchaus okaye Zahl. Zwei von drei persönlichen Highlights möchte ich hier einfach ohne Kommentar empfehlen:

Highlight Nr. 3 eignet sich gut, um noch mal zum Thema Klima/Umwelt sowie langsam zum Schluss dieses Posts zu kommen: In Über dem Orinoco scheint der Mond beschäftigen sich Klaus Kamphausen (Publizist / Dokumentarfilmer) und Harald Lesch (Physiker) mit der Frage, wie der Mensch wieder zurück zur Natur findet. Und zwar in dem Sinne, dass er sich als Teil eines großen, komplexen Kosmos begreift und von Neoliberalismus und technologisch-ökonomischem Overkill abwendet – weil diese Kombi bekanntlich unseren Planeten und das Leben darauf zerstört (hier kann es keine zwei Meinungen geben). Obwohl die beiden Autoren rein formal beschrieben eher einer Problemgruppe gehören – nämlich der der alten, weißen, wohlhabenden Männer – zeigen sie Haltung und formulieren wunderbar menschenfreundliche, fortschrittliche Gedanken.  Ein im Buch an zentraler Stelle diskutiertes und dessen Kernthesen recht gut reflektierendes Schopenhauer-Zitat (noch ein alter, weißer Mann!) möchte ich hier dann auch noch kurz reinwerfen:


„Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen.“


Darüber lohnt es sich, ein bisschen nachzudenken.

In diesem Sinne: Kommt gut ins neue Jahr. Ich gehe jetzt noch eine Flasche Sekt kaltstellen. Um in Kürze anzustoßen. Mit durchweg zivilisierten Mitbewohnerinnen und Menschen aus der Nachbarschaft.

30. Dezember 2022
von Alexander Plaum
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Gute Musik 2022: Album-Tipps, keine User Stats, Playlist des Jahres

Dieses Blog ist noch nicht tot. Yay! Ich reaktiviere es mit einer kurzen Zusammenfassung meiner Vinyl- und Streamingeskapaden der letzten 12 Monate:

Ich habe generell ziemlich viel Musik gehört (quer durch die Genres, 500+ neue Tracks) und ziemlich viele Platten angeschafft (gebraucht und frisch aus dem Presswerk, ca. 50 Langrillen). Und obwohl dabei gar nicht mehr übermäßig viel Punk/Indie auf dem Teller bzw. in der Streaming-App landete, hat mich ein Album aus diesem für mich einst prägenden Bereich total begeistert: Dent, die neue Full Length von SIGNALS MIDWEST. Der furiose, clever arrangierte Titeltrack, das poppig-melancholische „Gold in the Grey“ sowie der überwiegend akustische Sing-Along-Hit „Love and Commerce“ sind ganz flott auf meiner Heavy-Rotation-Liste gelandet – und der Rest des Album ist einfach auch richtig gut. Dicke Empfehlung! 

Relativ spät im Jahr erworben habe ich Fragments, das (bereits im Januar erschienene) neue Album von BONOBO. Andere Leute haben es schon zur Genüge rezensiert, weswegen ich hier nur sagen will: Tolle Platte. Sehr stimmungsvoll und großartig produziert. Wenn ihr irgendwas mit elektronischer Musik (v.a. Downtempo/Ambient) anfangen könnt, hört im Netz mal rein. Oder kauft euch am besten eine der aktuell noch günstig verfügbaren, super schicken Vinylausgaben (z.T. inkl. Kunstdruckbeilagen). 

Nicht so oft gehört, aber auch als Deluxe-Version (+ 7″ + Stofftasche) geordert, für gut befunden und auf meinen Alte-Buddies-Indie-Emo-Altar gestellt habe ich The Night, The Dawn, and What Remains, das neue und definitiv letzte Album von PALE, der besten Mod-Pop-Band aus meiner Heimatstadt. Die Geschichte hinter der Veröffentlichung dieser Song-Kollektion lest ihr am besten in Ruhe auf der Labelseite nach. Alles sehr traurig, aber auch tröstlich.

Kommen wir nun zur Playlist des Jahres 2022, soeben kompiliert für euch bei Spotify. 30 Songs sind es dieses Mal geworden, die Auswahlkriterien waren die gleichen wie jedes Jahr (englischsprachig oder instrumental, nicht zu lang, nicht zu anstrengend, sympathisch und halbwegs relevant). Da fällt mir ein, dass ich demnächst auch noch mal eine schräge oder exotische Playlist raushauen sollte. Nun aber erst mal viel Vergnügen mit Here by Chance – und auf ein gutes Musikjahr 2023!

28. Dezember 2021
von Alexander Plaum
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Gute Musik 2021: Album-Tipps, keine User Stats, Playlist des Jahres

Ok, wo fange ich an?

Vielleicht damit, dass Musik auch in den vergangenen 12 Monaten eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat: Immer dann, wenn ich von der Pandemie, dem politischen Weltgeschehen oder (vergleichsweise unwichtigen) Projektproblemen angenervt war, bin ich zum Plattenschrank gelaufen, habe mein Smartphone gezückt oder – leider zu selten – einen Stuhl vors E-Piano gerückt. Und wenn ich gut drauf war und etwas feiern wollte, hab ich quasi das Gleiche getan – dann nur mit anderer Musikauswahl.

Statistiken zu Genres, Künstler*innen und Hörgewohnheiten spare ich mir heuer mal, aber soviel sei gesagt: 2021 war das Jahr der Instrumentalmusik und der Compilations.

Instrumentalmusik vor allem deswegen, weil ich (gerade von Januar bis März und Oktober bis Dezember) viel Zeit mit der Familie zu Hause verbracht habe und dort eben im Wohnzimmer meist Konsensplatten auf den Teller mussten. Und der Konsens lautet hier aktuell: Instrumental, nicht zu weichgespült, aber auch nicht zu post-modern, gerne mit Groove und Esprit. In diesem Kontext ist dann auch The Exciting Sounds of Menahan Street Band eine meiner Platten des Jahres geworden. Wer nur ansatzweise etwas mit der Melange Funk/Jazz/Soul/Afrobeat anfangen kann, sollte unbedingt reinhören (die anderen Alben sind übrigens gleichermaßen gut; und wenn ihr dann schon dabei seid, gebt euch auch mal die Tracks der verbrüderten/verschwesterten Budos Band).

Und was war mit den Compilations? Hört der Plaum jetzt Bravo-Hits? Nee, natürlich nicht. V.A.-Scheiben nahmen recht viel Platz ein, weil ich Lust hatte, Neues und Exotisches zu entdecken, ohne unglaublich viel Zeit (Crate-Digging im Ausland) und Geld (Mondpreise für alte Schätzchen) zu investieren. Außerdem gibt’s inzwischen ja eine Reihe großartiger Archivlabels, die mit viel Liebe und Herzblut kuratieren. Eins davon ist Radio Martiko (Gent, BE), u.a. Produzent von Ena Tefariki: Oriental Shake, Farfisa Madness & Rocking Bouzoukis from The Greek Laika Movement. Tolle Musik, tolle Aufmachung, tolle Linernotes – ein weiter persönlicher Favorit im Jahr 2021. I-Tüpfelchen: Ich konnte die Compilation im Sommer direkt in der Vinylwerkstatt des Erzeugers erwerben, Freibier und DJ-Set inklusive!

Was das von mir weiterhin goutierte Punk-Hardcore-Indie-Fach betrifft, haben sich Alone in A Dome von den Copyrights sowie Bright Green Field von Squid in meine Gehörgänge gefräst. Album Nr. 1, weil’s einfach prägnant und catchy ist, Album Nr. 2, weil darauf trotz einiger anstrengender Post-Irgendwas-Parts sehr eindrucksvoll gezeigt wird, wie innovativ und clever das Genre noch immer sein kann. Trotz (oder wegen?) Klavier-/Chanson-Instrumentierung ebenfalls punk und auf meiner Jahresbestenliste: Das Ist Alles von Der Kunstfreiheit Gedeckt, Solo-Album #2 von Danger Dan (Lieblingssong: Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok).

Daneben habe ich natürlich noch ganz, ganz viel anderen Kram quer durch den Gemüsegarten gehört – und einen Teil der Hits wieder in eine Playlist für euch gepackt. Die Kriterien lauteten dabei (wie schon in vergangen Jahren): Englischsprachig oder instrumental, nicht zu lang, auch ohne Faible für Free Jazz und Black Metal hörbar sowie: sympathisch und halbwegs relevant. Enjoy!